Patientenvollmacht, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht.
Gespräch mit dem Vorsorgeanwalt
Frederic Seebohm und mir
Das nun folgende Gespräch fand Anfang Juli 2019 in meinem Garten in Köln statt. Ich habe Rechtsanwalt und VorsorgeAnwalt Seebohm im Netz recherchiert und mit ihm Kontakt aufgenommen. Wir saßen dann wenige Wochen später unter dem Lärm von übenden Flugzeugen zusammen und sprachen ganz grundsätzlich über Differenzierungen und Sinnhaftigkeiten von Patientenvollmachten, Patientenverfügungen und Betreuungsverfügungen.
Das sind Begriffe, die wir alle schon einmal gehört haben und doch werfen wir sie gerne durcheinander. Für mich und für viele Eltern sind diese Themen gerade im Hinblick auf unsere volljährigen Kinder auch emotional sehr wichtig. Natürlich dreht sich unser Gespräch in den Beispielen um die Geschichte meines Sohnes Caspar. Was wir damit aber vermitteln wollen, ist allgemeingültig und es liegt uns sehr am Herzen, dass auch Sie sich darum ihre Gedanken machen.
Warum braucht man überhaupt eine Patientenvollmacht?
Ich möchte mit einer grundsätzlichen Gegenfrage antworten. Warum braucht man eine Vorsorgeregelung? Das ist eigentlich der passende Begriff. Vorsorge ist deshalb wichtig, weil sich ein Mensch mit Erreichen seiner Volljährigkeit nur noch selber vertreten kann. Ohne Vollmacht gibt es niemanden, der berechtigt ist, ihn zu vertreten – weder in Situationen von Krankheit, noch bei einem Unfall. Um in diesen Situationen einen Vertretungsberechtigten an seiner Seite zu haben, braucht es Vorsorgeregelungen. Wir unterscheiden hier drei Arten:
Mit einer Vollmacht bevollmächtige ich eine Person, für mich tätig zu sein. In einer Patientenverfügung ist formuliert, was mit mir in medizinischen Extremsituationen geschehen soll.
Die Betreuungsverfügung regelt, wer für mich handeln soll, wenn ich keine Vollmacht erteile, sondern ein Gericht für mich die Vertretungsperson bestellen soll.
Das bringt mich gleich zu dem Gedanken, dass es nicht dieses gefühlte elterliche Naturrecht gibt, wie die meisten Eltern sich das so denken. In dem Moment in dem mein Kind volljährig ist, sollte ich dringen eine Vorsorgeregelung treffen, richtig?
Es ist so wie Sie sagen. Mit der Volljährigkeit verlieren die Eltern ihre Entscheidungs- und Vertretungsbefugnisse. Sie verlieren auch das Sorgerecht für ihr Kind. Übrigens gilt ähnliches für Ehepartner. Auch sie haben kein Vertretungsrecht füreinander. Auch sie brauchen eine Vollmacht, damit der eine Ehepartner für den anderen entscheiden kann.
Vielleicht steigen wir einmal kurz auf diese drei verschiedenen Säulen der Vorsorge ein. Was ist der Unterschied zwischen Vollmacht, Patientenverfügung und Betreuungsverfügung?
Die Vollmacht ist ein sogenanntes Rechtsgeschäft. Sie gibt einer Person die Befugnis, für eine andere Person in bestimmten Aufgaben zu handeln und zu entscheiden. Diese Befugnis kann auf verschiedene Aufgabenfelder beschränkt werden, zum Beispiel auf Vermögensangelegenheiten oder gesundheitliche Angelegenheiten. Eine Vollmacht kann sehr individuell gestaltet und auf die Bedürfnisse aller Beteiligter zugeschnitten werden. Das gilt für denjenigen, der eine Vollmacht erteilt, sowie für denjenigen, der diese Vollmacht ausüben soll. Gilt eine Vollmacht für sämtliche Angelegenheiten, dann spricht man von einer Generalvollmacht.
Die Patientenverfügung beschreibt und legt fest, was in medizinischen Extremsituationen geschehen soll. Extremsituationen sind die Sterbephase, ein Zustand des Wachkomas, eine schwere Demenz oder eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit, z.B. eine Tumorerkrankung. Hier wird festgelegt, was in diesen Situationen geschehen, oder eben nicht mehr geschehen soll.
Eine Betreuungsverfügung ist in der Regel sehr kurz formuliert. Mit ihr legt der Verfügende fest, wer sein gesetzlicher Betreuer sein soll, wenn es keine Vollmacht gibt. Eine Betreuungsverfügung stellt sicher, dass die Vertretungsperson durch ein Gericht bestellt und kontrolliert wird. Das ist z.B. sinnvoll, wenn der Verfügende Sorge hat, dass ohne gerichtliche Kontrolle des Betreuers auf sein Vermögen zugegriffen würde. Das ist der Vorteil der rechtlichen Betreuung: Damit steht ein persönlich ausgewählter, aber gerichtlich bestellter und kontrollierter Vertreter bereit. Nachteilig ist, dass die Betreuerbestellung ein langwieriges Verfahren voraussetzt. Es muss umfangreich medizinisch und rechtlich geprüft werden, ob überhaupt und in welchem Umfang eine Betreuung erforderlich ist. D.h.: Während dieser ggf. monatelangen Prüfungsphase steht keine Vertretungsperson zur Verfügung!
Ich verstehe die Betreuungsverfügung als Minimalanforderung; das ist das Mindeste, was ein junger Erwachsener festlegen sollte.
Ja.
Vollmacht und Patientenverfügung sind zwei unterschiedliche Willensäußerungen. Wann muss ich einen Notar hinzuziehen?
Streng genommen braucht eine Vollmacht keinen Notar. Jeder Geschäftsfähige kann sie auf ein Stück Papier schreiben. Aber die beste Vollmacht hilft nicht, wenn sie nicht von den Beteiligten akzeptiert wird, denn es gibt keinen Zwang zur Akzeptanz. Will der Vollmachtgeber sicherstellen, dass seine Vollmacht auch wirklich von Ärzten, Banken, Behörden oder Versicherungen akzeptiert wird, dann ist eine notarielle Beglaubigung wichtig. Beglaubigen kann auch die Betreuungsbehörde jeder Kommune. Das kostet eine geringe Gebühr und hat eine ähnliche Wirkung wie eine notarielle Beglaubigung.
Welche Konsequenzen hat es nun für junge Erwachsene, wenn sie keinerlei Vorsorge für sich getroffen haben und in eine gesundheitliche Krise geraten, zum Beispiel durch einen Unfall?
Ein junger Erwachsener ohne Bevollmächtigten oder Betreuer, steht dem gesamten Apparat alleine gegenüber, das heißt insbesondere dem Klinischen System, als auch Versicherungen und Behörden. Niemand ist berechtigt, ihm zu helfen. Das ist insbesondere dann schwierig, wenn medizinische Maßnahmen erforderlich sind. Solange es um die unmittelbare Notfallversorgung geht, braucht es zwar keinen Bevollmächtigten. Hier handelt eine Klinik so, wie es in Notfall-Situation erforderlich ist. Aber sobald die unmittelbare Notfallsituation vorüber ist, braucht es jemanden für alle weiteren Entscheidungen: Welche Operationen soll durchgeführt werden? In welcher Klinik? Welche Risiken sind tragbar? Was ist die beste Therapieoption?
Bleiben wir bei Ihrem Beispiel. Ohne Bevollmächtigten wendet sich die Klinik an das Betreuungsgericht mit der Bitte um Eil-Bestellung eines Betreuers. Denn ohne die Zustimmung eines Betreuers darf die Klinik nicht handeln. Ein junger Erwachsener ohne Vorsorgeregelung erhält dann einen rechtlichen Betreuer, dessen Qualifikation völlig unklar ist. Der rechtliche Betreuer kennt den jungen Erwachsenen gar nicht. Er wird nun irgendwelche Entscheidungen treffen müssen, die möglicherweise nicht dem entsprechen, was der junge Erwachsene selber entschieden hätte. Der Betreuer ist dem jungen Erwachsenen eben nicht verbunden.
Ist es richtig, dass ich mich als Elternteil bei Gericht um die Erlangung dieser gerichtlichen Betreuung bemühen kann? Dass ich nachweisen muss, dass dies im Sinne des jungen Erwachsenen, also meines Kindes, wäre?
Das Gericht ist erstens frei darin, welchen Betreuer es bestellt. Und natürlich versucht das Gericht, die unmittelbaren Angehörigen als ehrenamtliche Betreuer einzusetzen. Denn das würde im Zweifel dem Willen des jungen Erwachsenen entsprechen. Aber das Gericht ist dazu nicht verpflichtet.
Zweites ist es denkbar, dass ein Gericht so schnell gar keinen Zugang zu den Eltern hat, weil Telefonnummern, Adressen oder sie selbst nicht aufzufinden sind. So daß eine fremde Person bestellt wird.
Drittens sind schwierige familiäre Konstellationen denkbar, mit getrennten oder zerstrittenen Patchwort-Eltern. Das Gericht entscheidet sich dann für einen außenstehenden Betreuer, bevor es sich in schwieriges Fahrwasser begibt.
Um diese Risiken im Vorhinein auszuschalten, ist es wichtig, dass man sich rechtzeitig überlegt, welche Personen lebenswichtige Entscheidung treffen dürfen – Menschen, die wissen, was der Betroffene in einer bestimmten Situation wollen würde und was nicht.
Habe ich das gerade richtig verstanden, dass ein vom Gericht bestellter Betreuer so weitreichende Vollmachten hat, dass er oder sie die behandelnden Ärzte, den Ort und die Therapieform mit den Ärzten festlegen kann?
Das Gericht legt die Aufgabenkreise fest, für die ein Betreuer zuständig sein soll je nach Bedürftigkeit des Menschen. Für einen verunfallten jungen Erwachsenen, der nicht mehr entscheidungsfähig ist, wird ein Betreuer wahrscheinlich für sämtliche Lebensbereiche und Aufgabenkreise beauftragt werden. Dazu zählt dann natürlich auch die Ärztewahl, die Wahl der Klinik und des Versorgungswegs.
Wie sieht es eigentlich mit der ärztlichen Schweigepflicht aus? Wenn ich keine Vollmacht des jungen Erwachsenen, des Patienten, habe, geben die Ärzte mir trotzdem Auskunft über seinen Zustand?
Auch hier gilt die Regel, dass Informationen nur demjenigen gegeben werden dürfen, der dazu bevollmächtigt ist. Wenn Ärzte trotz fehlender Vollmacht den Eltern Informationen über den Gesundheitszustand des jungen Erwachsenen geben, ist das vielleicht menschlich anständig, aber trotzdem rechtswidrig.
Das alles kann einen außenstehenden gesetzlichen Betreuer – so gut gewillt er auch sein mag – ganz schnell an sein Limit führen, denn sein zeitliches Engagement hat Grenzen.
Ja, ein Berufsbetreuer kann nur eine begrenzte Stundenanzahl pro Monat abrechnen, und diese Stundenzahl nimmt im Laufe der Zeit ab. Ein Berufsbetreuer muss mit der Herausforderung leben, dass er sich vielleicht mehr für den zu Betreuenden engagieren möchte, aber dafür dann nicht mehr bezahlt wird. Auch aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich einen Bevollmächtigten auszusuchen, von dem man hoffen kann, dass er sich stark engagiert. Das ist ein wichtiger Punkt: Es macht keinen Sinn, jemanden zu bevollmächtigen, von dem man im voraus weiß, dass er dieses Engagement möglicherweise nicht leisten kann.
Jetzt treffen wir uns hier am 1.Juli und übermorgen beginnen die Sommerferien. Ein junger Erwachsener kommt mit dem Schulabschluss nach Hause oder beginnt morgen seine dreimonatige Südost-Asien-Reise. Gibt es für spät Entschlossene doch noch eine Möglichkeit, sich gegenseitig abzusichern?
Idealerweise nutzen die Eltern, besser noch der junge Erwachsene selbst, diese Homepage. Sie finden hier (LINK) das Formular einer Vollmacht und einer Patientenverfügung. Beides wird ausgedruckt und einem Notar in der Nähe vorgelegt – Personalausweis nicht vergessen. Eine Beglaubigung der Unterschrift dauert nach terminlicher Vereinbarung nur fünf Minuten.
Wunderbar, jetzt starten unsere jungen Erwachsenen schon mal abgesichert in die Ferien. Das ist ja ein Moment, den man erstaunlicherweise nicht kommen sieht. Immer überrascht Weihnachten am 24. Dezember und immer überrascht uns, dass aus unseren Kindern am 18. Geburtstag junge Erwachsene werden. Was ist am besten mit Eintritt der Volljährigkeit zu tun?
Am besten ist es, der junge Erwachsene vereinbart am nächsten Tag einen Termin beim Notar um eine Vollmacht beglaubigen zu lassen – die Person seines Vertrauens können ein oder beide Elternteile, ältere Geschwister oder sonstige Familienangehörige oder lebenserfahrene Freunde sein. Damit ist dieser junge Erwachsene für die kommenden Jahre abgesichert, da er eine vertretungsberechtigte Person an seiner Seite hat.
Oft steht die Frage im Raum, welche Risiken mit einer solchen Vollmacht verbunden sind. Denn der Bevollmächtige könnte Entscheidungen treffen, die der junge Erwachsene gar nicht will. Um dies zu verhindern, gibt es mehrere Möglichkeiten.
Erstens: Die Vollmachtsurkunde wird nicht ausgehändigt. Und der bevollmächtigten Person wird gesagt, wo sie diese Vollmacht bei Bedarf findet. Damit ist eine Hemmschwelle eingebaut, sich dieser Urkunde ohne Zustimmung zu bedienen.
Zweitens: Es können zwei Personen gemeinschaftlich bevollmächtigt werden, wenn Mißtrauen vorgebeugt werden soll.
Ein Vier-Augen-Prinzip?
Das ist möglicherweise bei etwas schwierigeren Familienverhältnissen eine gute Lösung. Sie hat aber den Nachteil, dass diese Beiden sich eventuell nicht einig sind. So daß sie die Vollmacht nicht ausüben können – mit der Folge, daß das Betreuungsgericht an ihrer Stelle einen Betreuer bestellt. Bei jungen Erwachsenen geht es in der Regel um keine Vermögensangelegenheiten, so daß es für Mißtrauen keinen Grund gibt – deshalb hat es sich bewährt, Vater und Mutter oder Geschwister einzeln zu bevollmächtigen und zwar nebeneinander, so dass entweder der eine oder der andere handeln kann.
Es kann ja schnell geschehen, dass man für einen jungen Erwachsenen, der durch einen schweren Unfall geschädigt ist, spezielle Vorrichtungen treffen muss, um ihn zurück nach Hause holen zu können. Ein Hilfsgerät muss gekauft werden oder es ist gar der Umbau eines Badezimmers fällig. Krankenkassen und Versicherungen zahlen die dafür nötigen Mittel auf das Konto des Patienten ein. Müsste man nicht eigentlich auch eine Vollmacht haben, um mit dem Konto des Patienten arbeiten zu können?
Sie sprechen das Thema Bankvollmacht an. Typischerweise ist es so, dass Banken nur sehr zögerlich auch notariell beglaubigte Vollmachten akzeptieren. Dies aus reiner Vorsicht heraus, denn Geld ist schnell auf ein fremdes Konto überwiesen, doch die Bank will sich keinem Haftungsrisiko aussetzen. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass Ausgaben, die mit der Pflegebedürftigkeit des Patienten oder medizinischen Notwendigkeiten verbunden sind, von Banken akzeptiert werden.
Um sicherzugehen, kann der junge Erwachsene einer Person seines Vertrauens auch eine ausdrückliche Bankvollmacht erteilen. Das ist insbesondere bei Online-Banken relevant, die keine Filialen betreiben und ihre Kunden nicht mehr persönlich kennen. Bankvollmachten sind zu empfehlen und sollten parallel zu den anderen Vollmachten vereinbart werden. Das setzt natürlich entsprechendes Vertrauen der Kinder in z.B. Eltern oder Geschwister voraus.
Können Sie etwas über die Form sagen, in der eine Vollmacht oder Patientenverfügung geschrieben sein sollte? Handschriftlich oder ausgedruckt?
Wichtig ist, dass Vollmacht und Patientenverfügung leicht und schnell verständlich sein sollen. Eine handschriftliche Version ist zwar möglich, aber sie signalisiert Behörden, Ärzten oder anderen Institutionen eben nur Handarbeit. Damit steigt das Risiko, dass das Gegenüber die Handschrift nicht lesen kann oder unter Zeitdruck gar keine Lust dazu hat. Handschriftliche Versionen werden ggf. nicht ernstgenommen.
Patientenverfügungen und auch Vollmachten sind mittlerweile standardisiert. Daher macht es keinen Sinn, das Rad neu zu erfinden. Man sollte sich an dem orientieren, was zum Beispiel das Bundesjustizministerium an Formulierungen vorschlägt oder was man hier bei Ihnen auf Ihrer Homepage (LINK) finden kann. Selbst gebastelte Formulierungen sind nicht empfehlenswert und bergen das Risiko missverständlicher oder widersprüchlicher Regelungen.
Jetzt müssen wir auch noch über den Inhalt sprechen. Wie sollte eine Patientenverfügung inhaltlich aufgebaut sein?
Eine Patientenverfügung regelt grundsätzlich nur medizinische Extremsituationen. Sie regelt jedoch keine Unfallsituationen. Hat ein junger Erwachsener einen lebensgefährlichen Unfall, wird er zunächst versorgt. Egal ob er eine Patientenverfügung hat oder nicht. Eine ganz andere Frage ist, was nach der Erstversorgung geschieht und wie dieser junge Mensch dauerhaft in einer medizinisch gefährlichen Situation weiterlebt. Das sind im Grunde folgende vier Situationen:
Die unmittelbare Sterbephase, das Wachkoma, eine schwere Demenz (wobei das bei jungen Menschen nach einem Unfall in der Regel nicht vorliegt) und eine schwere unheilbare Erkrankung, die unmittelbar zum Tode führt. In diesen vier Situationen regelt eine Patientenverfügung meistens, dass lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen nicht mehr ergriffen werden sollen; ebenso keine Operationen, keine wesentlichen medikamentösen Behandlungen, keine Reanimationen, keine künstliche Ernährung.
Bei jungen Menschen ist es natürlich ganz anders als bei alten Menschen. Bei ihnen ist der Impuls, das Leben unter allen Umständen zu retten, viel ausgeprägter. Aber es kann sehr gut sein, dass der junge Erwachsene sagt, dass er unter bestimmten Bedingungen eben nicht mehr am Leben erhalten werden will. Er möchte sterben dürfen, weil er vielleicht schon eine längere eigene Krankheitsgeschichte hat, also genau weiß, von was er spricht. Oder er hat im eigenen Familienumfeld genau miterlebt, was langes, aussichtsloses Leiden bedeuten kann.
Dann ist eine Patientenverfügung besonders für die jungen Erwachsenen wichtig, die aufgrund ihrer Konstitution in einer gefährdeten gesundheitlichen Situation leben.
Ja, und das sind natürlich sehr schwere Situationen, besonders für Eltern, die bevollmächtigt sind, dann Entscheidungen entsprechend der Patientenverfügung zu treffen. Aber der Sinn einer Patientenverfügung ist es auch, denjenigen zu entlasten, der die Entscheidung treffen muss. Sollte ein junger Erwachsener einen schweren Unfall erlitten haben und sich über Jahre hinweg in einem Wachkoma befinden, dann stellt sich den Eltern irgendwann die Frage, ob sie noch länger zu diesem Zustand beitragen sollen oder ob das eigene Kind sterben darf. Und es hilft den Eltern, wenn dieser junge Erwachsene selber formuliert hat, dass er in einer solchen Situation sterben möchte. Es kann trotz der Schwere dieser Entscheidung für bevollmächtigte Eltern eine enorme Entlastung bedeuten, wie sie im Sinne ihres Kindes entscheiden sollen.
Das sind besonders schwierige Einzelfälle, um die es hier ging. Unsere Fantasie reicht auch oft nicht aus, um sich auszumalen, welche erstaunlichen Wege das Leben manchmal geht. Für einige Menschen ist die Hürde auch zu hoch, sich jetzt schon mit diesen existentiellen Fragen des Lebens zu beschäftigen. Kann man sagen, dass es für fröhliche junge Erwachsene, die gerade in ihr Leben starten besonders wichtig ist, eine Vollmacht oder eine Betreuungsverfügung festzulegen und weniger eine Patientenverfügung?
Ja. Kommunikation ist zentral – das Gespräch zwischen dem jungen Menschen und denjenigen, die er bevollmächtigen möchte. Eine Vollmacht oder Patientenverfügung lässt sich direkt als Gesprächsleitfaden nutzen. Dann haben beide Seiten die Gewissheit, dass die andere Seite verstanden hat, um was es geht. Ich warne davor, kommentarlos Dokumente auszutauschen!
Für Eltern kann es im Ernstfall besonders schwer werden, zu differenzieren. Es geht nicht darum, was will die Mutter oder was will der Vater? Stattdessen soll der Bevollmächtigte das tun, was der junge Erwachsene tun würde, wenn er selbst entscheiden könnte. Das heißt: Es geht immer um den Willen des jungen Erwachsenen. In einem klinischen Zusammenhang ist es daher wichtig, z.B. folgende Formulierungen zu wählen „… mein Sohn/meine Tochter würde jetzt dies und jenes wollen“ Mit dieser Gesprächsführung kann ein Bevollmächtigter viel einfacher und klarer seine Rolle ausfüllen. Dann entsteht für die beteiligten Ärzte die Perspektive: Es geht um den Willen des jungen Erwachsenen und nicht um den seiner Eltern.
Das sind dann Eltern, die im besten Sinne des Wortes Erfüllungsgehilfen ihrer Kinder sind.
Ja genau, aber nicht mehr Eltern in der Rolle als Eltern, das ist wichtig! Gut, dass wir darüber sprechen. Bei einem bevollmächtigten Elternteil geht es nicht mehr um elterliche Fürsorge. Es ist wichtig, das im Gespräch mit Institutionen oder Ärzten auch auszudrücken. Denn es geht unabhängig von der elterlichen Liebe darum, Vertreter des Volljährigen und im Leben stehenden jungen Erwachsenen zu sein. Der eigene Rechte aus sich selber heraus hat.
Herr Seebohm wir haben die verschiedensten Facetten dieses wirklich nicht ganz einfachen Themas beleuchtet und ich danke Ihnen sehr für Ihre Bereitschaft zu diesem Gespräch. Haben wir etwas vergessen?
Ja! Das Thema Vollmacht und Patientenverfügung wird häufig als schwer und bedrückend wahrgenommen. Ich möchte für eine andere Wahrnehmung werben. Für die Möglichkeit, familiäre Solidarität, Liebe und Vertrauen auszudrücken. Wie viele Gedanken verwenden wir darauf, welches Auto wir kaufen und welche Farbe das neue Sofa haben soll? Umso mehr Zeit sollten wir für das Gespräch darüber haben, wie ein Mensch für einen anderen Menschen Verantwortung übernehmen kann. Das stärkt die Bindung der Generationen. Umfragen zeigen seit Jahren, dass das Vertrauen von Kindern in ihre Eltern sogar wächst. Deshalb steht das Thema Vollmacht und Patientenverfügung mitten im Leben. Es weist in die Zukunft und verbindet.
Herr Seebohm, ich danke Ihnen herzlich für Ihren Besuch und für dieses Gespräch.d